Himmlisch: Einweihung der Chororgel im Braunschweiger Dom
Der Braunschweiger Dom ist nun offensichtlich und in glänzender Weise der Musik geweiht. Dank einer mutigen und kostenintensiven Neuerung, die in den vergangenen Jahren weit über die deutsche Kirchenlandschaft hinaus beispiellos ist. Sie bedeutet einen unübersehbaren Eingriff in die innere Anmutung des 850 Jahre alten Bauwerks: Die schimmernden Prospekte einer neuen Chororgel steigen in geschwungener, an Flügel erinnernder Form an zentraler Stelle zu beiden Seiten des hohen Chores auf. Rund 800.000 Euro wurden investiert, um den ursprünglich als Grablege für Heinrich den Löwen und seine Frau Mathilde errichteten romanischen Bau zum Vorzeige-Dom geistlicher Chormusik zu machen. Am Freitagabend wurde die neue Chororgel mit einem geradezu beschwingten Festgottesdienst eingeweiht.
Ihre ersten Töne klingen mystisch, ganz leise geheimnisvoll schwebend, zu Beginn des Paul-Gerhardt-Liedes „Du, meine Seele, singe“, im Wechselspiel mit einer zarten solistischen Kinderstimme der Domsingschule. In den folgenden Stücken „Panis Angelicus“ von César Franck und dem mystisch-spannungsvollen „Lobgesang nach Psalm 45“ von Zoltán Gárdonyi für Chor, Kinderchor und Orgel wird bald eine Hauptqualität des neuen Instruments deutlich: dass es sich nicht in den Vordergrund drängt. Sondern die Chöre weich umfängt und trägt, mit einem samtigen, schimmernden, auch mal leuchtenden Klang, dem allerdings die Strahlkraft und Wucht des typisch deutschen Orgelidioms abgeht – ganz bewusst.
An englisch-romantischen Vorbildern orientiert
„Dies ist eine Chororgel, keine Gemeindeorgel“, bekräftigt Domorganist Witold Dulski, der sich seit seinem Dienstantritt vor fast 25 Jahren für so ein Instrument eingesetzt hatte, in seinen launigen Festworten. „Wenn wir mit Ihnen singen wollen, reicht sie nicht.“ Dafür sei weiter die große, 60 Jahre alte Schuke-Orgel im Westwerk das Domes die erste Wahl. Auch Bach- und andere barocke Werke werde man mit der Schuke- oder einer mobilen Orgel, nicht aber mit der neuen Chororgel aufführen, erläutert Domkantorin Elke Lindemann auf unsere Nachfrage hin. Sie sei für romantische und neuere geistliche Musik und die große Vielfalt britischer Chorliteratur geschaffen. Werke von Charles Standford, John Rutter und Robert Prizeman prägen dann auch den Festgottesdienst.
Die neue Chororgel ist klanglich dem Vorbild der englisch-romantischen Schule des berühmten Orgelbaumeisters Henry „Father“ Willis (1821–1901) nachempfunden, namentlich der Orgel in der St. John‘s Church in Cardiff, Wales, die als Referenzobjekt diente. Der englische Sound ist milder, wärmer und dynamisch facettenreicher. Eine herausragende Eigenschaft der Braunschweiger Chororgel, erbaut von den Freiburger Spezialisten Hartwig und Tilmann Späth, ist die stufenlose Regelung der Lautstärke. Selbst die feinen Kinderchorstimmen der Domsingschule deckt sie am Freitagabend nicht zu, sondern stützt sie, gespielt von Kantor Robin Hlinka, ganz sanft. Auch prangendere Register boxen sich nicht nach vorne, sondern behalten diese zurückhaltend rahmende Qualität bei.
Klangbaden im Braunschweiger Dom
Was jetzt auch möglich ist im Dom: Klangbaden, in einem faszinierenden Surround-Sound. Vom eleganten, geradezu retro-futuristisch gestalteten Spieltisch im Hohen Chor aus können Hlinka und Dulski wie Commander beide Instrumente bedienen. Das kulminiert in einem umfassenden, farbenreichen, spirituellen Klangerlebnis. Und bietet spannende Möglichkeiten für dynamische Wechselspiele zwischen den Registern und Charaktern beider Orgeln an den gegenüberliegenden Enden des Kirchenschiffs.
Der Dom ist beim Einweihungs-Gottesdienst, der auch ein bisschen Leistungsschau von Orgeln, Domchören, Blechbläsern und Domsingschule ist, bis in die Seitenschiffe hinein voll besetzt. Ein wichtiges Argument für die Anschaffung und Durchsetzung der Chororgel gegen anfangs auch interne Widerstände war die Bedeutung von Musik, so Martina Krug, Vorsitzende des Orgelbauvereins: Sie spreche Menschen an, „die über die Institution Kirche sonst gar nicht mehr erreicht werden können“.
Domorganist Dulski beliebt zu scherzen
Auch Dompredigerin Cornelia Götz und Landesbischof Christoph Meyns betonen in ihren Festworten die beflügelnde Macht der Töne: „Singend und musizierend lernen wir vielleicht neu zu glauben“, sagt Götz. „Musik ist eingebettet in die christliche Botschaft der Hoffnung“, erklärt Meyns. „So sei nun diese Orgel dem Dienst an Gott geweiht.“
Domorganist Dulski hat die Chuzpe, im spürbaren Überschwang der Orgel-Bescherung unter dem Jubel der Chöre und Gemeinde die hervorzuheben, „die wirklich für diese Orgel gearbeitet haben“, nämlich unter anderen Intonateur (das heißt Orgelstimmer und -trimmer) Reiner Janke. Der habe sogar noch am Mittwoch das kurzfristig ausgefallene Gebläse der Schuke-Orgel durch ein provisorisches ersetzt. Und Dulski verweist verschmitzt auf ein Löwen-Maskottchen, das auf dem linken Zwillingsprospekt der neuen Chororgel hockt und mit einer Mechanik wieder versenkbar ist. Von Herzen dankt der 54-jährige Kirchenmusiker noch einmal allen, die den Orgelbau möglich gemacht haben. Keine öffentlichen Mittel oder Kirchengelder seien dafür geflossen, betont Thomas Mächtig vom Orgelbauverein, „ausschließlich Spenden von Bürgern, Stiftungen, Unternehmen, Serviceclubs“.
Mit einem auch von der Gemeinde kraftvoll intonierten „Lobe den Herren“ und Prizemans markiger Toccata „Songs of Praise“ für Orgel und Blechbläser endet eine denkwürdige Orgelweihe, die ein leuchtendes, klingendes, eigenwillig zukunftsgewisses Zeichen in dunkler Zeit setzt.
Online-Artikel der Braunschweiger Zeitung von Florian Arnold am 02.12.2023. Mit freundlicher Genehmigung des Verlages.
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